Einem Juden, der jede Bindung an Tora und Mizwot aufgegeben hat, weil er als ein "voll akzeptiertes Mitglied" in der Gesellschaft aufgehen möchte, kann manchmal die Frage vorgelegt werden, ob er das jüdische Volk als sein Volk betrachtet. Gewöhnlich lautet die Antwort darauf: "Ja". Dann mag er sogar den Fragesteller in sein Geschäftsbüro führen, und auf ein Bild zeigen, das oben an der Wand hängt. Es ist das Porträt eines alten Mannnes mit langem weißen, Bart und weisen, ernsten Augen; und daneben hängt dann vielfach noch ein weiteres Bild, und zwar von einer Frau von gütigem und edlem Aussehen, einer Frau, deren Haar vollständig mit einem Tuche bedeckt ist.
"Sehen Sie", wird der Betreffende dann sagen, "das sind meine Großeltern." Und vielleicht fährt er dann noch fort, mit stolzer Stimme: "Glauben Sie bitte nicht, dass mein Großvater ein gewöhnlicher Mensch war. Oh nein, mein Herr! Er war ein großer Tora-Gelehrter, der ein sehr intensives jüdisches Leben führte und alle Gebote mit Wärme und Hingabe ausübte; und er sah dabei so wirklich jüdisch aus, mit einem langen weißen Bart und einer Jarmulka auf dem Kopf – wie Sie ja sehen können. Jawohl, ich weiß genau über das Leben im lieben alten 'Stettl', Bescheid. Mein alter Vater ist ebenfalls ein guter, frommer Jude; und ich kümmere mich, darum, dass ihm in seinem Alter nichts fehlt. Ich habe ihn im besten Altersheim untergebracht, und ich besuche ihn von Zeit zu Zeit. Also, bitte fragen Sie mich nicht, ob die Juden mein Volk sind. Natürlich sind sie dies; und ich bin sehr stolz auf mein jüdisches Erbe."
Nur mit Trauer kann man solche (oder ähnliche) Bemerkungen aufnehmen. Wenn wir so etwas hören, dann lässt uns oft ein bestimmter Gedanke nicht los: "Dieser Mann hat in einer gewissen Weise seinem Großvater das angetan, was Haman – in der Purimgeschichte – dem Mordechai zugedacht hatte; er hat ihn 'fünfzig Ellen hoch aufgehängt'". Da also hängt das Porträt, oben hoch an der Wand, weit entfernt und abgesondert von seinem eigenen Lebensstil in der heutigen Welt.
Wir können uns eine weitere Frage an ihn kaum verkneifen: "Warum finden Sie es für nötig, einen Beweis für Ihr Jude-Sein von einem alten Bild aus längst vergangenen Tagen herzuleiten? Warum machen Sie nicht für Ihre eigenen Kinder ein 'lebendes Bildnis' Ihres Großvaters? Geben Sie ihnen diejenige Art von Tora-Belehrung, die sie befähigen wird, in der gleichen, von Tora angefeuerten Weise wie Ihr Großvater zu handeln, zu denken und zu sprechen?"
Darauf bleibt eine weitere Antwort gewöhnlich auch nicht aus: "Ja, was denken Sie denn bloß?", wird er sagen. "Das mag wohl vor langer Zeit einmal angebracht gewesen sein, aber die Zeiten haben sich doch sehr geändert. Wir sind unter die Völker verstreut. Wir können einfach nicht unsere eigenen Gesetze beibehalten, wir können uns nicht von den Gewohnheiten und Sitten der Umwelt absondern. Denn sollten wir uns so anders verhalten und benehmen, dann würde die Gesellschaft uns ablehnen, und wir könnten einfach nicht weiterleben!"
Diese seine Worte, wie sie ihre Motivierung in dem "Haman" in ihm selbst (das ist der böse Trieb) finden, haben einen alten, sehr bekannten Klang. Tatsächlich sind sie schon vor Tausenden von Jahren von Haman Nr. 1 gesprochen worden, als dieser den mächtigen König Achaschwerosch von Persien zu überreden suchte, die Juden nicht am Leben zu lassen, denn (Esther 3, 8-9) "... sie sind unter den Völkern verstreut und abgesondert, ihre Gesetze sind von denen anderer Völker verschieden, und sie befolgen nicht die Gesetze des Königs" usw.
Wie töricht war jener Haman von damals! Und wie töricht ist der innere "Haman" in so manchem Juden von heute! Wie können sie nur, beide von ihnen, so kurzsichtig sein, dass sie die klaren Beweise und Zeugnisse nicht erkennen, die all ihre Argumente zunichte machen?
Wenn Hamans Argument stichhaltig wäre, dass ein Volk, "zerstreut unter den Völkern", nicht weiterexistieren könnte, dann wären wir längst untergegangen. Wir aber sind hier – wo sind Persien, oder Babylonien, oder Assyrien?
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