Die dieswöchige Sidra enthält die dramatische Schilderung der Offenbarung der Tora am Sinai. Der folgende Brief des Lubawitscher Rebben an einen Jugend- und Studentenführer (auszugsweise wiedergegeben) befasst sich mit einigen persönlichen Aspekten dieses Themas, vornehmlich aus der Sicht der heutigen Jugend.

Jeder denkende Mensch muss sich, natürlicherweise, oft fragen: "Was ist der Sinn meines Lebens?" – Besonders häufig und dynamisch wird diese Frage von der studierenden Jugend gestellt. Hinzu kommt, dass Jugendliche unerschlossene Reserven von Energie und Begeisterung ihr Eigen nennen, die sie gern nutzbringend anlegen möchten. Ihnen erscheint das Problem des Lebenszweckes womöglich noch wesentlicher und dringender als für Menschen reiferen Alters.

Gerade für uns Juden, das "Volk des Buches", ist diese Frage überaus wichtig. Das Beiwort "Volk des Buches" besagt nicht nur, dass wir, ganz allgemein, Bildung und Gelehrsamkeit hochschätzen, sondern "das Buch" bezieht sich auf die Tora (Bibel), mit der wir uns identifizieren. Tora bedeutet "Belehrung"; sie ist unser Führer durch das Leben. Ständig führt sie uns unsere Lebenspflichten vor Augen. Sie gibt uns eine wahre Definition unseres Lebenszweckes; und gleichzeitig zeigt sie die Mittel und Wege auf, um dieses Ziel zu erreichen.

Der Lebenszweck jedes Juden, ob Mann oder Frau, ist klar bei der Offenbarung am Sinai, vor 32 ½ Jahrhunderten, definiert worden. Damals empfingen wir die Tora und wurden gleichzeitig zu einem Volk geschmiedet; und wir wurden aufgerufen (Exodus 19, 6), "ein Volk von Priestern und eine heilige Nation" zu sein. Das bedeutet: Jeder von uns muss heilig in seinem Privatleben sein; und in unseren Beziehungen zur Welt muss jeder von uns, Mann oder, priesterliche Funktionen ausüben. Ein Priester hat die Aufgabe, G-tt zu den Menschen zu "bringen", und die Menschen zu erhöhen, damit sie G-tt näher kommen. Eben dies sind die persönlichen und "priesterlichen" Pflichten jedes Juden und jeder Jüdin, dadurch, dass sie der Tora gemäß leben.

Das Ausmaß dieser Verpflichtung steht in direktem Verhältnis zu dem Rang und Stand jedes einzelnen im Leben. Also muss sie größer sein für einen Menschen auf höherem Standorte, denn er hat ja auch mehr Gelegenheit, Einfluss auf andere zu nehmen, speziell auf Jugendliche. So müssen Persönlichkeiten von höherem Rang sich sehr genau vor Augen halten, welches Privileg und welche Verantwortung die G-ttliche Vorsehung ihnen damit gegeben hat.

Das denn ist Ihre Pflicht, Ihr Privileg und Ihr Amt als ein Studentenführer Ihren Glaubensgenossen und der Studentenschaft allgemein gegenüber. Ihren Kommilitonen aber möchte ich ebenfalls eine Botschaft übermitteln: Für sich selbst Fortschritte zu machen, ist natürlich eine wichtige Aufgabe; aber kein Jude, der sein Bestes tut, sollte sich damit schon zufrieden geben. Vielmehr schuldet er es auch seinem Nebenmenschen, ihm zu helfen, dass er sich verbessert.

Man sollte nicht, leicht entmutigt, zu schnell die Flinte ins Korn werfen, indem man sich (zum Beispiel) fragt: "Was kann ich denn schon tun? Ich stehe allein da." Unser Vater Abraham hat uns gelehrt, was eine Einzelperson zustande bringen kann. Denn (Ezekiel 33, 24) "Abraham war ein einzelner, und doch erhielt er die ganze Erde zum Besitz". Unser Zeitalter, von manchen gern das "Atomzeitalter" genannt, hat eines sehr deutlich gemacht: Selbst in der winzigsten Quantität von Materie können ungeheure Vorräte von Energie gefunden werden. Es gilt nur, diese aufgespeicherte Energie zu entdecken und dann für positive Zwecke zu dämmen und zum Einsatz zu bringen – und nicht, G-tt behüte, für andere Zwecke.

Mein Schwiegervater, der frühere Lubawitscher Rebbe s. A., sprach oft diesen Wahlspruch aus: "Kein Jude wünscht, von G-tt getrennt zu werden, noch ist ihm dies überhaupt möglich." In diesem Sinne bin ich davon überzeugt, dass die hier kurz ausgedrückten Gedanken ihr passendes Echo in ihrem Herzen und in den Herzen Ihrer Kollegen und Freunde finden werden.