"Richter und Beamte sollst du dir in all deinen Toren einsetzen" (Deut. 16, 18). Mit diesen Worten beginnt die heutige Sidra und legt dadurch fest, dass es Gerichtshöfe geben muss, wo immer jüdische Gemeinden bestehen – außerhalb des Heiligen Landes genauso wie innerhalb. Die Städte der Zuflucht dagegen sollten nur innerhalb des Heiligen Landes eingerichtet werden. Warum wird dieser Unterschied gemacht? Um es zu verstehen, muss man die Symbolik der Dinge würdigen.
Die Städte der Zuflucht versinnbildlichen Tschuwa (reuige Umkehr) und Vergebung. Wer einen zufälligen Totschlag oder sogar einen vorsätzlichen Mord begangen hatte, erhielt die Möglichkeit, in eine dieser Städte zu fliehen, um so Zuflucht zu finden vor den auf Rache sinnenden Angehörigen des Ermordeten. Während er sich in der Stadt aufhielt, durfte ihm niemand etwas antun; er war in Sicherheit, bis das Gericht über seinen Fall entschieden hatte. Wenn dann das Gerichtsurteil wirklich auf einen nicht vorsätzlichen Totschlag lautete, ordnete es sein weiteres Verbleiben in der Stadt der Zuflucht an, im Zustande von "Galut" (Exil), fern seiner Wohnstätte, damit er auf diese Weise für seine Tat sühnte.
Gerichtshöfe ihrerseits versinnbildlichen gleichzeitig Sühne wie auch Läuterung, denn das eigentliche und schließliche Ziel des Tora-Gerichtes bestand nicht in der Bestrafung sondern in der Erhöhung und Läuterung des Schuldigen. Wenn zum Beispiel ein Gericht dem Dieb das Diebesgut wieder abnahm, dann war dies tatsächlich ein Verdienst, also eine Gunstbezeugung für den Dieb.
Das Heilige Land versinnbildlicht den Wunsch und die Bereitwilligkeit, G-ttes Willen auszuführen.
Die Länder außerhalb des Heiligen Landes versinnbildlichen einen Geisteszustand "außerhalb" des Wunsches, G-tt Gehorsam zu zeigen.
Die Tschuwa (reuige Umkehr), Sinn und Wesen der Städte der Zuflucht, kann nur im Heiligen Lande erfolgen, in dem Land, das den Wunsch des g-ttgefälligen Tuns versinnbildlicht; denn wahre Reue beinhaltet doch die Abkehr von Verfehlungen der Vergangenheit und den festen Entschluss, in Zukunft nicht zu versagen. Es ist klar, dass der wahre Wert der Abkehr nur an den Vorsätzen für die Zukunft gemessen werden kann; wenn jemand sich nicht ganz bestimmt entschließt, sich nicht mehr zu vergehen, dann ist seine Reue für das Vergangene unehrlich und somit wertlos.
Deshalb können die Städte der Zuflucht nur im Heiligen Land eingerichtet werden. In den Worten der Tora (Numeri 35, 11): "Dorthin soll er fliehen ..." Der Sündige muss "dorthin" fliehen, nämlich in das Heilige Land; das heißt, er muss sich in den Zustand begeben, wo er bereitwillig G-ttes Willen ausführt.
Die Gerichtshöfe aber müssen sowohl im Heiligen Land wie außerhalb vorhanden sein; denn es heißt in den "Sprüchen der Väter" (2, 4): "Richte deinen Nebenmenschen nicht, bis du in seine Lage gekommen bist." Wenn ein Gericht über einen Angeklagten zu befinden hat, dann können Richter "im Heiligen Lande" eigentlich nicht all die Schwierigkeiten würdigen, die es in Ländern "außerhalb" des Zustandes g-ttgefälliger Unterwerfung unter Seinen Willen geben kann. Richter in dem "Land, auf dem die Augen des Ewigen, deines G-ttes, ruhen vom Anfang des Jahres bis zum Ende des Jahres" (Deut. 11, 12), können sich nicht endgültig in den Geisteszustand eines Angeklagten hineinversetzen, der doch dauernd Versuchungen gegenübersteht, wie sie die schlechtere Umgebung von "Chuz la’Arez" ("außerhalb des Heiligen Landes") mit sich bringt – eine Umgebung, die sich diese Richter nicht einmal vorstellen können.
Deshalb musste es ganz offensichtlich Richter und Gerichte auch in den Gemeinden außerhalb des Heiligen Landes geben, so dass diese dann ein Einfühlungsvermögen für die Juden von "Chuz la'Arez" aufbringen und so diese Menschen in wirklicher Gerechtigkeit richten konnten.
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