Nachdem Mose die Thora zu Ende geschrieben hat, gebietet ihm G-tt in unserem Wochenabschnitt, die Thorarolle an den heiligsten Ort zu legen: Nehmet diese Thorarolle und leget sie zur Seite der Bundeslade eures G-ttes.1 Wo wurde genau die Thorarolle hingelegt? Im Talmud gibt es zwei Meinungen:2

  1. Die Thorarolle wurde in die Bundeslade, neben den zwei Steintafeln mit den zehn Geboten gelegt.

  2. Die Thorarolle wurde neben die Bundeslade hingelegt.

Doch laut beiden Meinungen befand sich die Thorarolle am heiligsten Ort des Heiligtums, nämlich dem „Allerheiligsten“ (.

Über Raum und Zeit

Das Allerheiligste war ein Ort, an der die G-ttesoffenbarung über Raum und Zeit stand. Der Talmud sagt, dass der Platz der Bundeslade kein Maß hatte.3 Die Bundeslade hatte eine von der Thora festgelegte Größe – 2½ Ellen ist seine Länge, 1½ Ellen sein Breite und 1½ Ellen seine Höhe4 (1 Elle sind ca. 50 cm) – und stand im Zentrum eines quadratischen Raums (10 Ellen lang und 10 Ellen breit). Als man die Länge der Bundeslade abmaß, betrug sie 2½ Ellen, doch beim Abmessen des Abstands von einer Wand bis zur naheliegenden Seite der Bundeslade, wie auch des Abstands von der anderen Wand bis zur zweiten Seite der Bundeslade, betrug die Länge jeweils 5 Ellen, als ob die Bundeslade gar nicht im Raum wäre!

Denn im Allerheiligsten herrschte ein übernatürlicher Zustand, der über Raum und Zeit ging, denn Raum und Zeit sind miteinander verbunden. Das machte das Alleiheiligste aus – es war das Zeugnis für eine überdimensionale G-ttesoffenbarung.

Gravur und Tinte

Diese Übernatürlichkeit war auch in den zwei Steintafeln zu finden, welche ebenfalls diese überdimensionale G-ttesoffenbarung zum Ausdruck brachten. Die Schrift war in dem Stein eingraviert, wodurch die g-ttliche Schrift (denn die Tafeln wurden von G-tt selbst beschrieben) und der Stein ineinander verschmolzen. Die Heiligkeit der Buchstaben wurde ein Teil des Steins. Obwohl die eingravierte Schrift durch den Stein ging, war sie auf der Rückseite des Steins nicht spiegelverkehrt. Man konnte die zehn Gebote sowohl von vorne als auch von hinten richtig lesen! Der Innenteil der Buchstaben ם und ,ס welche durch die Gravur herausfallen sollten, schwebten auf wunderlicher Weise in der Luft.5

Die Thorarolle hingegen wurde von Mose geschrieben, und zwar mit Tinte auf Pergament. Die Schrift wurde nicht Teil des Pergaments. An der Thorarolle gab es nichts Übernatürliches. Deshalb steht sie für eine niedrigere Stufe der G-ttlichkeit; es handelt sich hierbei um eine G-ttesoffenbarung, die sich in der Welt und ihrer Naturgesetze kleidet.

Somit stellt sich die Frage, weshalb die Thora ins Allerheiligste gelegt wurde? Welchen Zusammenhang gibt es zwischen ihr und dem Allerheiligsten?

Den Alltag beleuchten

Die Thorarolle wurde ins Allerheiligste gelegt, damit wir begreifen, worin die eigentliche Aufgabe des Allerheiligsten liegt. Der Sinn ist nicht, dass im Allerheiligsten allein diese besondere, überdimensionale Heiligkeit wirkt, sondern, dass diese Heiligkeit auch außerhalb des Allerheiligsten aufgenommen wird; und nicht nur auf dem Tempelberg und in Jerusalem, sondern sogar die Völker der Welt sollen sie aufnehmen und die G-ttlichkeit erkennen. Die Thorarolle im Allerheiligsten sollte dabei eine Zwischenstufe sein, welche die überdimensionale Heiligkeit des Allerheiligsten in die Dimensionen der Welt außerhalb des Tempels überträgt.

Darin liegt auch der Sinn von Rosch HaSchana: Es reicht nicht, dass man nur in den Tagen von Rosch HaSchana vor G-tt wie ein treuer Knecht steht. Diese Hingabe zu G-tt soll man auch in den Alltag transportieren. Jemand, der es schwer hat, die Mitzwot zu erfüllen, soll auch im Alltag wie ein Knecht – aus Disziplin und Gehorsam – dem G-ttesdienst nachgehen. Und jemand, der die Mitzwot erfüllt, weil es ihm gefällt und er sie versteht, soll G-tt auch im Alltag wie ein Knecht, der seine Gefühle und seinen Verstand beiseitelegt und den Anordnungen seines Herrn nur folgt, weil es sein Wille ist, dienen. Dadurch wird auch der g-ttliche Segen, der uns zu Rosch HaSchana zugeschrieben wurde, im Alltag des kommenden Jahres einfließen.

(Likutej Sichot, Band 2, Seite 407)