Setzen Sie ein ernstes Gesicht auf. Denken Sie an Ihre Missetaten. Ziehen Sie den Mantel der Demut an. Bereiten Sie sich auf die Reue vor. Bald ist Jom Kippur.
Aber während Sie in all dieser Feierlichkeit schwelgen – natürlich ist es angemessen, ernste Reue zu empfinden und gute Vorsätze zu fassen -, sollten Sie auch Haasinu lesen, den neuen, optimistischen Wochenabschnitt. Am Ende von Wajelech, der vorigen Parascha, lasen wir: „Und Mosche sprach in die Ohren der Versammlung Israels die Worte dieses Liedes, bis sie zu Ende waren.“ Das leitet die eleganten, weitreichenden und schönen Verse von Haasinu ein.
Er „sprach in die Ohren“: Das heißt, dass Mosche nicht zu einer Menge sprach, wie wir es oft annehmen. Man denkt hier eher an ein Gespräch unter vier Augen, bei dem Mosche den Menschen sogar Worte ins Ohr flüsterte. Es war also weniger eine Predigt und mehr ein privates Gespräch, das für jeden Juden eine individuelle Bedeutung hatte.
Aber was bedeutet „bis sie zu Ende waren“? In diesem Augenblick schauen wir auf mehrere Höhepunkte voraus. Wir nähern uns Mosches Lebensende, dem Ende der vierzigjährigen Reise von Ägypten nach Kanaan, dem Ende der Tora und dem Ende des alten Jahres, dem ein neues folgt. Diese Worte haben also viele Bedeutungen.
Sie deuten auch an, dass Mosche ein Epos rezitiert, ein Gedicht über das gesamte bisherige Leben seines Volkes, aber auch über unsere Zukunft. Das „Ende“ ist demnach kein endgültiger Abschluss, sondern es beschreibt unsere ganze Religion, unsere Kultur und unser Ziel auf Erden. Genau darum geht es in der kurzen, eindrucksvollen Parascha Haasinu.
Sie beginnt mit dem Satz „Hört mich, ihr Himmel, und ich will sprechen.“ Das unterscheidet sich sehr vom persönlichen, ruhigen Ton der Worte „Mosche sprach in die Ohren“. Zu wem spricht er jetzt? Die nächste Zeile sagt: „Und lass die Erde hören die Worte meines Mundes.“ Dies ist die Essenz von Mosche: die Verbindung zwischen Himmel und Erde zu sein, zwischen dem Wort G–ttes und den Menschen, denen Sein Wort gilt. Mosche ist ein Modem zwischen Himmel und Erde.
Dann führt uns Mosche mit ehrfurchterweckenden Metaphern durch die Geschichte unseres Volkes. Er erwähnt keine bestimmten Ereignisse, Namen oder Gesetze, sondern er beschreibt in einer Sprache, welche die Entfernung zwischen der Erde, auf der wir gehen, und dem Heim der Engel überbrückt, den Gegensatz zwischen der Knechtschaft in Ägypten – unter größenwahnsinnigen Diktatoren und Götzenbildern aus Ton – und den Wundern der Tora, der Erlösung, der Weisheit und eines weiteren großen Geschenks: Wir wissen, warum wir hier auf Erden leben.
Also lesen Sie Haasinu. Mitten in diesen nachdenklichen, heiligen Tagen, in denen Sie sich auf das Fasten vorbereiten, hilft diese Parascha Ihnen, Ihr Erbe zu verstehen.
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