Der Mensch ist ständig auf der Suche, im besten Fall nach der Wahrheit. Schließlich erkennt er die „Welt der Lügen“ und möchte einfach ihrem Chaos entlaufen und wahren, ewigen Dingen anhängen – G-tt und Seinen Wegen. Das Einfachste wäre dann sich auf eine einsame Insel zu begeben, seinem inneren Wesen Ausdruck zu geben und G-tt ohne Störungen zu dienen.

Tatsächlich erklärt die Lehre der Chassidut1, dass eben aus diesem Grund die Söhne Jakows Schafhirten wurden und keine andere Tätigkeit ausübten. Sie liebten die Abgeschiedenheit, denn auf den stillen Weiden konnten sie ihrer G-ttesarbeit ungestört nachgehen.

Zwei Gegensätze?

Der Hungersnot wegen mussten die Stämme nach Ägypten ziehen, wo sie Josef begegneten, dem Herrscher des Pharaonenreiches. Ihr Treffen beschreibt die Thora wie folgt: Und Josef erkannte seine Brüder, doch sie erkannten ihn nicht. Außer der einfachen Erklärung kann dieser Vers auch tiefer gedeutet werden: Die Stämme „erkannten“ Josef nicht – sie konnten sich nicht vorstellen, dass dieser Mann, welcher ein ganzes Reich regieren musste, ihr Bruder sein konnte, ein frommer Jude, der Sohn Jakows. Wie könnte ein Mensch G-tt in all seinen Wegen treu bleiben, wenn er doch so sehr in die Weltlichkeit vertieft ist. Für die Stämme war eine solche Kombination unmöglich. Dieser Mann konnte einfach nicht Josef der Gerechte sein.

Kein Mönchstum

Josef stand auf einem weitaus höheren Level als seine Brüder. Als Herrscher Ägyptens, der die Bürde eines gesamten Landes trug, galt er wohl als der weltlichste Jude in der Geschichte. Doch verwirrten ihn nicht die Anliegen der Weltlichkeit und er blieb weiterhin den Wegen seiner Väter treu. Er konnte sich an G-tt nicht nur in der Abgeschiedenheit binden, sondern selbst in den starken Strömungen des Businesslebens. Deshalb „erkannten“ ihn seine Brüder nicht. Denn ihren Begriffen zufolge konnte nur die Abgeschiedenheit (z.B. eines Schafhirten) eine Bindung zu dem geistigen G-tt ermöglichen.

Tatsächlich aber kommt der Jude auf diese Welt, um dem Weg Josefs nachzueifern. Denn nur auf diese Weise kann die Heiligkeit G-ttes mittels der Thora und ihrer Mitzwot auch die Welt und ihre Bereiche (Weltlichkeit) durchdringen.

Der jüdische Glaube lehnt das Mönchstum ab, denn der abgesonderte Jude schafft sich zwar die angenehmsten Bedingungen seinen G-ttesdienst ohne jegliche Störungen zu praktizieren, doch die Welt wird dadurch nicht geheiligt und an die G-ttlichkeit gebunden. Sein Verhalten hinterlässt eher den Eindruck, dass die G-ttlichkeit und das Weltliche zwei unvereinbare Dinge seien, als ob G-tt keinen Zugang dorthin hätte.

Doch der Jude, welcher sich mit der Welt auseinandersetzt, aber weiterhin sein Judentum ohne jeglichen Kompromiss auslebt, bringt die G-ttlichkeit selbst an die weltlichsten Seiten dieser Welt. Er beweist, dass man ein fairer Geschäftsmann sein kann, wie die Thora es vorschreibt, welcher am Schabbat nicht arbeitet und auch Zeit für das Thorastudium findet. Alle, die ihn sehen, erkennen sofort, dass auch ein „weltlicher“ Mensch nach der Thora leben kann und dies kein Gegensatz ist. Somit bringt der Jude G-tt in die „moderne“ Welt und erfüllt seine Aufgabe.

Nicht die Ausrüstung vergessen

Diese Mission steckt voller Prüfungen. Die Welt hat viele Verführungen zu „bieten“. Dies könnte den Juden von seiner Aufgabe abschrecken. Deshalb nehmen wir uns an Josef ein Vorbild, welcher auch das gesamte jüdische Volk symbolisiert, wie es heißt: Er (G-tt) führt wie eine Herde Josef (Israel).

Bevor er zum „weltlichen Juden“ wurde, befasste sich Josef jahrelang bei seinem Vater mit dem Thorastudium. Die gesunde jüdische Erziehung, welche er erhielt, und das Aneignen der Thoralehre ermöglichten ihm schließlich alle Prüfungen zu bestehen und seine Aufgabe zu erfüllen, die Welt unter die Fittiche der G-ttlichkeit zu bringen.

Jedem von uns obliegt diese Aufgabe, doch die Ausrüstung darf man dabei natürlich nicht vergessen!

(Likutej Sichot, Band 1, Seite 88)