Auf der Flucht vor seinem Bruder gelangte Jakow zu dem Ort Bet El, an dem einst der Tempel gebaut werden würde. Sein eigentliches Reiseziel war Charan, die Wohnstätte seines Onkels Lawan. Doch Jakow hatte vorerst anderes im Sinn. Er beabsichtige die Thoraschule von Schem und Ewer aufzusuchen um die jüdische Lehre gründlich zu erforschen. Vierzehn Jahre sollte er dort bleiben. In Bet El richtete Jakow ein Gebet an G-tt, dass Er seine Wege gelingen lasse möge. Müde von der Reise schlief er dort ein wenig.

Aus den Worten Und er schlief an diesem Ort lernt der Midrasch: „Dort schlief er, doch alle vierzehn Jahre in der Thoraschule schlief er nicht durch.“1 Der Midrasch bringt auch eine zweite Variante: „Alle zwanzig Jahre im Hause Lawans schlief er nicht.“

Jakow war sehr wissensdurstig und konnte es sich nicht erlauben in der Thoraschule ein Auge zuzudrücken. Doch welche Begeisterung fand er im Haus Lawans, dass er sich dort nicht schlafen legte – das Schafehüten war es wohl kaum?

Welche Weltauffassung?

Als Jakow nach Charan ging, verfolgte er vor allem die Absicht eine Familie zu gründen. Er wusste sehr wohl, dass er Vater der zwölf Stämme sein würde, welche den Beginn des jüdischen Volkes darstellten. Doch Lawan gefiel nicht die Idee eines auserwählten Volks G-ttes. Und er strebte danach seine Bildung zu verhindern. Die zwanzig Jahre, welche Jakow nicht im Haus Lawans schlief, drücken seine Wachsamkeit vor den hinterlistigen Absichten des bösen Onkels aus.

Lawans Weltauffassung widersprach der Gesinnung unseres Vorvaters Jakow, welcher die Grundwerte des Judentums darstellt. Lawans Argument lautete: Die Söhne und Töchter sind meine Kinder, und die Herde ist meine Herde. Er forderte in zwei Bereichen den alleinigen Anspruch: Erziehung (die Söhne und Töchter sind meine Kinder) und Arbeitsleben (die Herde ist meine Herde). Diese Forderung stellen auch die „Nachfolger“ Lawans, die Weltauffassung der modernen Gesellschaft.

Moderne Welt

Die Söhne und Töchter sind meine Kinder, fordert Lawan. „Verständlich, dass ihr Erwachsenen noch zu der alten Generation gehört. Doch eure Kinder wachsen in einer modernen Welt auf, und man muss sich an die Zeit „anpassen“. Sie sollen ihr Judentum kennenlernen, kein Problem; wieso auch nicht, Traditionen (in gemäßigtem Ausmaß) sind akzeptabel. Aber passt das jüdische Gedankengut und seine Bräuche an unsere Zeit an, damit sie als moderne Menschen, wie es alle sind, in die Gesellschaft einfließen können.“

Die Herde ist meine Herde, fordert Lawan. „In eure Gebete und Bräuche mische ich mich nicht ein. Doch was Geld angeht, da kenne ich mich aus. Gerade am Samstag zu arbeiten, bringt das beste Geschäft. Nur hinterlistige Tricks machen einen erfolgreichen Geschäftsmann.

Erziehungsberechtigt

Wie hätte Jakow bei einer solchen Bedrohung ruhig schlafen können? Er musste den völligen Anspruch auf diese zwei Bereiche garantieren: Eine ordentliche jüdische Erziehung und ein Arbeitsleben in Einklang mit den Vorschriften der Thora, ohne Arbeit am Schabbat und Gaunereien! Lawan durfte auf keinen Fall in diesen Bereichen Fuß fassen!

Jakow sprach zu Lawan: „Ich habe für dich vierzehn Jahre gearbeitet (mit all meinen Kräften), für deine zwei Töchter (Erziehung der Kinder) und sechs Jahre für deine Herde (Arbeitswelt). Ich tat alles dafür, damit die Erziehung und die Arbeitswelt meiner Kinder tadellos jüdisch seien!”

Jakow übermittelt diese Botschaft seinen Nachkommen: Man darf sich nicht zur Ruhe setzen, damit der jungen Generation eine fundierte jüdische Erziehung garantiert ist. Und auch im Alltag (vor allem wenn es um Geld geht) soll man die jüdischen Werte leben!

(Likutej Sichot, Band 3, Seite 789)