"Und Moses ging hin und redete diese Worte zu ganz Israel, und er sprach zu ihnen: "Einhundertundzwanzig Jahre bin ich heute alt..." [Dwarim 31, 1-2].

Moses wollte hiermit soviel zum Ausdruck bringen wie: "Am heutigen Tage sind meiner Tage und Jahre voll, an diesem Tag (im Jahr) wurde ich geboren und an diesem Tag (heute) werde ich auch sterben" [siehe Raschi hierzu]. Hieraus lernen wir, daß G-tt die Lebensjahre eines Zaddik Gamur (eines vollkommen Gerechten), auf Monat und Tag genau erfüllt, so wie geschrieben steht, "die Zahl deiner Tage werde ich erfüllen" [Exodus 23, 26 - siehe Raschi hierzu].

Ein Jahr ist mehr als nur ein gewisses Maß an Zeit, es ist ein Zyklus, eine Folge von Abläufen, die sich immer wieder erneut abspielen. Auf physischer Ebene stellt ein Jahr die Komplettierung eines Erdenzyklus, sowie den Durchlauf von den vier Jahreszeiten mit den dazugehörigen Abläufen in der Natur dar. Auf spiritueller Ebene birgt jedes Jahr eine Wiederholung der Jüdischen Festtage mit ihren jeweiligen spirituellen Einflüssen auf uns - wie beispielsweise Freiheit an Pessach, Freude an Sukkot, ect. - in sich.

Das hebräische Wort für Jahr - Schana - beinhaltet dabei beide Aspekte, nämlich "Wandel" wie auch "Wiederholung". Denn ein Jahr stellt auch die Verkörperung des gesamten Spektrums von Wandlungen dar, die den menschlichen Erfahrungsschatz ausmachen. Jedes Lebensjahr ist grundsätzlich eine Wiederholung dieses Zyklus, wenngleich auf einer Ebene, die jeweils um den Erfahrungsschatz eines gesamten Jahres reicher ist. Mit anderen Worten könnte man sagen, daß wir jeweils ein Jahr lang leben - und zwar soviel Jahre, wie uns eben vergönnt sind. Jedes Jahr steht dabei auf einer neuen, höheren Stufe an Reife und Lebenserfahrung. Unser Leben ist somit mit einer Spirale vergleichbar, die stets dem gleichen Pfad folgt, mit jeder Runde jedoch auf einer höheren Ebene.

Hierin liegt auch die Bedeutung eines Lebens, welches "erfüllt" wurde, in dem Sinne, daß es aus vollen Kalenderjahren besteht. Moses wurde am siebten Tag des Monats Adar geboren und verstarb ebenso am siebten des Monats Adar. So war es auch einer Reihe von anderen vollkommen Gerechten vergönnt, an ihrem Geburtstag zu sterben.

Die Welt in der wir leben besteht aus spirituellen, wie aus physischen Dimensionen. Wenngleich beide, spirituelle wie physische Dimensionen, lediglich zwei Seiten ein und derselben Realität sind, so verhalten sie sich zueinander nicht immer spiegelbildlich. Daher gibt es auch solche Zaddikim, deren Leben sich im spirituellen Sinne "erfüllt" - in dem Sinne, daß sie ihr spirituelles Potenzial in jedem Moment zwar voll ausschöpfen - jene "Erfüllung" sich jedoch nicht in ihrem Geburts- und Todestag widerspiegelt; auf der physischen Ebene war ihr letztes Lebensjahr in dem Sinne nicht "komplett". Dann gibt es eben solche Menschen, deren physisches Leben sich wie ein Spiegelstrich zu ihrem spirituellen Leben verhält, was sich schließlich darin äußert, daß G-tt ihr Leben auf Monat und Tag genau "erfüllt".

(Basierend auf den Lehren des Lubawitscher Rebben)