Die Jom Kippur Machsor (Gebetbuch) in deutscher Übersetzung ähnelt einem anmutigen Flugvogel, einem Albatros, der tollpatschig auf der Erde watschelt, oder einer Ballerina in einem Astronautenanzug - Jupiter; eine romantische Sonate, die von einer mittelmäßigen Band gespielt wird. Um so erstaunlicher ist es, dass es ein Wort darin gibt - ein Schlüsselwort -, das in der deutschen Sprache stimmt. Es trifft den Nagel auf den Kopf und ist fast besser als das Original, dieses Wort "Versöhnung". Denn das ist es, worum es am Jom Kippur geht: Es ist ein Tag der "Versöhnung".

Unsere Weisen sagten schon vor langer Zeit über die Tora, das Jom Kippur ein "einmal im Jahr"-Tag ist, - was bedeutet, dass dieser Tag in jeder Hinsicht anders all alle anderen Tage im Jahr ist. Aber auf einer tieferen Ebene liegt dem Jom Kippur-Tag das Thema der Einheit zugrunde. Wir sind da, bei dieser Einheit, als Söhne und Töchter unseres Vaters im Himmel.

Aber heißt es nicht, dass wir da einen Fehler gemacht haben: "Versöhnung" ist einfach die Übersetzung des hebräischen Wortes 'Kappara': Das ist jede Tat, die zur Vergebung führt, die unsere Seele von den Flecken, die sie im Jahr bekommen hat, reinigt, und es uns und G-tt erlaubt, wiedergutzumachen, was problematisch war, um dann weiterzuwirken. Was hat das mit Einheit oder "Ver-Söhnung" zu tun?

Alles, weil Versöhnung zur ver-Söhnung führt. Wenn sich die innere Seele des Menschen und die Essenz des Seins vergeben und versöhnen, sind sie wieder eins und damit sind wir wieder richtige Söhne und Töchter!

Und weil Ver-Söhnung zu Versöhnung führt! Weil wir, um Versöhnung zu erreichen, erst wieder wahre Söhne und Töchter werden müssen.

Aber im übrigen Jahr sind wir nicht Ver-Söhnt. Warum nicht? Das hat damit zu tun, wie wir alles sehen.

Der Schein trügt. Mit unseren Augen sehen wir uns als Fremdlinge in einem Universum, das kalt und schweigend gegenüber dem Drama unserer Gefühle und Wünsche, Schmerzen und Ekstasen, Ziele, Fehlschläge und Errungenschaften, die uns menschliche Wesen ausmachen, dasteht.

Auf einer tieferen Ebene verstehen wir, dass es in dieser Realität und über sie hinaus eine Existenz gibt, die mit den Bewegungen unserer Herzen im Einklang ist. Kommen wir nicht auch aus diesem Universum? Wenn wir ein Herz, einen Verstand, eine Seele haben, muss dann das Universum nicht auch so etwas haben? "Der, der das Ohr gemacht hat, kann Der nicht auch hören?"

Wir nennen das die Essenz, "G-tt." Und dann beten wir.

Das ganze Jahr leben wir getrennt von dieser Essenz. Ja, wir haben ein Gewissen, das uns dazu anregt, dass wir mit Ihm klarkommen. Aber es ist eine Harmonie, die auf "sollte" beruht: Wir würden lieber "dies" tun, aber diese andere Stimme sagt, dass wir "das" tun sollten. Und dann machen wir das. Aber manchmal machen wir es nicht. Oder zumindest nicht genau so, wie wir es "sollten". Wir passen nicht mehr zusammen. Wie zwei Musiknoten, die nicht ganz übereinstimmen, und so entsteht Dissonanz. Wir gehen weiter auseinander. Unsere Rücken sind einander zugekehrt. Es ist kein Tanz, sondern nur ein Treffen zweier Reisenden, die ihre eigenen Reiserouten verfolgen.

Aber am Jom Kippur umarmen wir uns, unser Kern mit diesem Kern, die in und über uns hinaus existiert. Und wir sagen zu einander: "Der Tanz kann zwar Fehler haben, aber die Herzen sind eins". Da gibt es kein "sollte" mehr. Da existiert alles. Alles ist vergeben. Ver-Söhnung.