Der derzeitige jüdische Monat ist der Adar, und Purim steht vor der Tür; und sobald der Adar beginnt, soll man fröhlicher sein (siehe u.a. Kizzur Schulchan Aruch 141, 1). Allein schon deshalb ist es angebracht, die tiefere Bedeutung von Purim zu überdenken.

Will man sich bemühen, G-tt wirklich zu "verstehen" und dabei auch die inneren Aspekte des Lebens als solche zu erforschen, dann ist als erster Schritt dafür der folgende unerlässlich: Wir können und dürfen nicht unser eigenes "Verstehen" als Vorbedingung für unsere Befolgung der G-ttlichen Gebote ansehen. In anderen Worten, wir können nicht (sozusagen) G-tt so ansprechen: "Lass uns erst einmal Deine Gesetze verstehen; dann werden wir sie befolgen."

Als unser Volk am Sinai die Tora entgegennahm, da erklärten sie alle ausdrücklich (Exodus 24, 7): "Wir werden (zuerst) tun, dann werden wir (versuchen zu) verstehen." Diese Proklamation ist immer unser Prinzip geblieben, zu allen Zeiten und an jedem Ort. Der Jude muss die Mizwot einhalten, gleichgültig, ob er ihre tiefere Bedeutung versteht oder nicht; und seine "Erfahrung mit den Mizwot" wird schließlich auch die Fähigkeiten seines Verstandes entwickeln, wozu ihm dann auch G-ttliche Hilfe zur Seite stehen wird.

Ähnlich ist ebenfalls die Einstellung unseres Volkes zu unserer Geschichte gewesen. Die Juden haben immer und überall eingesehen, dass man unsere Geschichte nicht aufgrund natürlicher Gesichtspunkte oder den Einflüssen von Naturkräften zufolge begreifen kann, sondern allein auf der Basis der G-ttlichen Vorsehung, welche über unserem Ermessen und jenseits unseres Begriffsvermögens liegt. Ein deutliches Beispiel hierfür ist das Purimfest. Achaschwerosch, ein absoluter Herrscher, hatte einen Erlass unterschrieben, gesiegelt und zur Ausführung kommen lassen, der die Vernichtung der gesamten jüdischen Bevölkerung in allen 127 Provinzen seines riesigen Reiches vorsah. Es schien auch nicht der Schimmer einer Hoffnung auf Rettung zu bestehen. Rein logisch konnten die Juden einfach nicht verstehen, warum ein so furchtbares Dekret über sie ausgesprochen worden war. Haman hatte sie angeklagt, dass sie ihren eigenen Gesetzen, ihrem eigenen Lebensweg folgten. Wenn dies aber stimmte, dann hätten sie doch gerade nicht in eine solche Gefahr versetzt werden dürfen, weil doch die Tora eine "Torat Chajim" ist – also ein Weg zum Leben und nicht zum Tode.

Trotzdem blieben die Juden während des ganzen Jahres, in dem das Dekret wirksam war, standhaft in ihrem Glauben und in ihrer G-ttestreue. Dabei hätte es doch eigentlich der Logik entsprochen, dass sich nur ein möglicher Ausweg aus der Todesgefahr zeigte – nämlich genau die umgekehrte Richtung einzuschlagen, das heißt also, ihre Weltanschauung, ihren Lebensweg aufzugeben und in der nichtjüdischen Bevölkerung aufzugehen. Aber nicht ein einziger Jude und nicht eine einzige Jüdin wählte diese scheinbar "logische" Lösung des Problems.

Im Gegenteil, ihre Errettung war wieder einmal nichts anderes als ein Wunder. Es handelte sich um eine Kette von Ereignissen, die ihr Geschick umkehrte – vom Untergang zu neuem Leben, dem physischen wie dem geistigen, und von Trauer zu Freude.

Damit denn können die Worte der Estherrolle (9, 28) "Diese Tage sollen in Erinnerung gehalten und ausgeführt werden" besser verstanden werden: Die Erinnerung an unsere Beziehungen zu G-tt muss sofort zur Ausführung Seiner Vorschriften hinleiten. Dadurch, dass die Juden G-ttes Gebote einhalten, ungeachtet jeder Neigung in die umgekehrte Richtung, wie diese vom inneren Feinde (dem bösen Trieb) ausgelöst werden mag, bleiben sie mit G-ttes Tora und Seinen Mizwot behaftet und verbunden; und dadurch ist unser Volk unzerstörbar.