Menachem Mendel Schneerson, 1902 in Nikolajew (Ukraine) in einer chassidischen Rabbiner-Familie geboren, erhielt wie sein Brüder seine jüdische Bildung vom Vater und anderen Gelehrten. Später, die Familie zog nach Jekaterinoslaw (Dnepopetrowsk), wo der Vater hochgeschätzter Rabbiner wurde. Menachem Mendel besuchte technisch-naturwissenschaftliche Schulen, bevor er in Leningrad 1924 beim 6. Lubawitscher Rebben lernte. Dieser wurde 1927 als "religiöser Staatsfeind" zum Tode verurteilt, doch nach heftigen Protesten u.a. aus den USA durfte er nach kurzer Lagerhaft mit engerer Familie und Teilen der Bibliothek nach Riga auswandern, wo eine große chassidische Gemeinschaft lebte. Als lettischer Staatsbürger zog er aber 1932 nach Warschau, wohin seine Yeshivas Toimchei Temimim im Vorort Otvotzk emigriert war. Unglaubliche Konstellationen ermöglichten ihm und den Seinen dort 1939 die Flucht nach New York, während Mendel Menachem und Frau 1940 aus Paris über Vichy und Nizza nach Portugal flohen und 1941 mit dem fast letzten Schiff New York erreichten. In Paris hatte der spätere 7. Rebbe seine in Rostow und Leningrad begonnenen und zwischen 1928 und 1933 in Berlin fortgesetzten Studien der Mathematik, Geometrie und Physik als Diplomingenieur abgeschlossen. Wo er lebte, widmete er sich stets der Lehre und dem Lernen von Tora und Chassidut.

Menachem Mendel Schneerson war dem 6. Rebben zunächst nach Riga gefolgt und von Ende Oktober 1927 bis 9. Januar 1933 als Student unter den Adressen Pulkveža Brieža iela 10/5 bzw. 8, Marius St. gemeldet. In der Warschauer Jeschiwa stand er am Dienstag, den 27. November 1928 (14. Kislew 5689) mit Chaya Mussia Schneersohn (1901 - 1988), der mittleren Tochter des 6. Rebben unter der Chuppa, dann lebte das junge Paar bis März 1933 überwiegend in Berlin, vom Schwiegervater unterstützt. Er war von April 1928 bis 1930 als Gasthörer der Berliner Kaiser-Wilhelms-Universität eingeschrieben, Chaya Mussia widmete sich der deutschen Sprache, Kultur und Geschichte, Hinweise sagen, sie hörte auch mathematische Vorlesungen.

Menachem Mendel war Schwiegersohn, Sekretär, Mitarbeiter und Vertrauter des 6. Rebben. Gesetzestreue, innere Kraft, Bildung, Disziplin und Organisationstalent erlaubten ihm, religiösen All- und Festtag, säkulares Studium, Zuarbeiten für den Schwiegervater, eigene Publikationen, Korrespondenzen und religiöse Vorträge (Farbrengen) zwischen Berlin, Riga und Warschau zu verbinden sowie chassidische Bräuche und Geschichten zu notieren, die Bestandteil der chassidischen Lehre geworden sind. Seine Verbindung zum 6. Rebben war eng. Als dieser im Sommer 1930 aus den USA kommend kurz in Berlin weilte, begleitete ihn Menachem Mendel über die Hohen Feiertage nach Riga.

Pessach 1931 fuhr er erneut hin und blieb bis nach Schawuot. Dann trafen sie sich zu den Hohen Feiertagen in Otwock und reisten später gemeinsam nach Riga. Im November kehrte Menachem Mendel nach Berlin zurück. Als vor Pessach 1932 Schwägerin Shaineh in Riga heiratete, war er wieder dort, nach Schawuot fuhren die Männer nach Warschau, kehrten zu den Hohen Feiertagen nach Riga zurück, Menachem Mendel blieb bis Chanukka. Wohin ihn Chaya Mussia im Einzelnen begleitete scheint nicht belegt. Als die gesundheitlichen Probleme des 6. Rebben zunahmen, begleitete ihn der Schwiegersohn auch zu medizinischen Koryphäen jener Zeit.

Im Berlin lebte damals eine deutsch-jüdische Bevölkerung von orthodox bis reformiert, antireligiös, säkular, klein- oder großbürgerlich, proletarisch, künstlerisch, politisch, aber Chassidismus und "Stetl"-Mentalität waren dort unbekannt. Auf Fotos sieht man Menachem Mendel als jungen dunkelhaarigen Mann mittlerer Größe, mit nachdenklichem Blick, dunklem Bart, unauffälligem Anzug und wechselnder Kopfbedeckung. Auch Chaya Mussia kleidete sich zeitgemäß. Sie lebten zur Untermiete, doch wie damals üblich ist sie nicht als Mieterin erwähnt. Viele Adressen sind bekannt, manche sind vermutlich postalisch oder dienten aufenthaltsrechtlichen Gründen (Menachem Mendel war Sowjetbürger mit nicht verlängertem Pass):

  • 1928 bis 1930 Potsdamerstraße 40/1 bei Grünbaum,
  • 1931 bis 1933 Konstanzer Straße 12/a bei Braunstein,
  • 1933 Januar bis März Kantstraße 133 bei Levison, auch Hansa-Ufer 7 bei Wilansky, Potsdamer Straße 40/1, Bregenzer Straße 13/4 bei Scheinfeld, Konstanzer Straße 3 und die Artilleriestraße 31.

Hier, in dem von Rabbiner Dr. Esriel Hildeheimer 1873 gegründeten orthodoxen Rabbinerseminar, lernte er als Gast und hatte den Schlüssel zur Mikwe, die er täglich besuchte. Rabbiner Mendel Menachem Metzner, 1929 bis 1933 Student am Rabbinerseminar und an der Berliner Universität, berichtete von Bergen russischsprachiger Post für den 6. Rebben, die aus Riga bzw. Warschau an Mendel Menachem geschickt wurde. Ein Bote brachte sie ihm vielleicht in die Oranienburger Straße 33 (bei Bruhn) oder zur Auguststraße 77/78 (bei A. Ramin). Er sichtete und beantwortete diese. Einmal soll der Bote ihn mittags mit Tallis und Hut beim Studium des Jerusalemer Talmud gesehen haben. Für das orthodoxe Berlin war das unüblich. Bezeugt ist, dass er vom Hansa-Ufer ins Radomsker Stibl Grenadierstraße lief, eine der mindestens 15 Betstuben, die es laut Rabbiner Chaskiel Besser in der Straße gab. Nach dessen Erinnerung betete Menachem Mendel auch im Dumbrover Stibl. Zeitzeugen charakterisieren ihn als introvertierten, aufmerksamen, bescheidenen, schweigsamen Chassiden, als Strategen komplizierter Entscheidungen. Dem Schwiegervater schrieb Menachem Mendel einmal, es gäbe Menschen, deren Leben sich auf die Welt der Innerlichkeit konzentriere, nicht auf das Äußere. Er müsse zugeben, das sei kein unbedingter Vorteil, doch er gehöre offenbar zu diesen.

Heute verbindet sich mit dem 7. Rebben das Bild eines alten weißbärtigen Mannes mit hellen Augen. Seine kurze Berliner Jugend ist ein Abschnitt der Zeitgeschichte und ein Teil des kulturellen Erbes der Bewegung Chabad Lubawitsch, Grund genug, uns damit zu befassen.